Rongorongo
Als einzige aller Inseln des polynesischen Raumes besitzt die Osterinsel ein eigenes Schriftsystem, das scheinbar vor dem 18. Jh. auch auf einigen der westlich gelegenen Gesellschaftsinseln bekannt war. Die Schrift ist bis heute nicht vollständig entziffert. Erschwert wird die Untersuchung vor allem aber nicht nur dadurch, daß bis auf 21 Exemplare alle Holztafeln während des Versuchs der Christianisierung durch Missionare als heidnische Kultgegenstände abgetan und vernichtet wurden. Die verbliebenen Stücke gelten heute als wertvolle Exponate in ethnologischen Sammlungen der ganzen Welt.

Am Ostersonntag des Jahres 1722 entdeckte der niederländische Admiral Jakob Roggeveen eine bis dahin den Europäern nicht bekannte Insel und nannte sie Paasch-Eyland (Osterinsel), nach dem Tag der Entdeckung.
Möglicherweise handelte es sich bei der Insel um die gleiche, die der britische Freibeuter Edward Davis im Jahr 1680 (oder 1687) entdeckt hatte, und ihr den Namen Davisland gegeben hatte. 1770 wurde der Name durch einen vorbeisegelnden Spanier in Don-Carlos-Insel geändert, zu Ehren des damaligen spanischen Königs.
In der Sprache der Eingeborenen heißt das Eiland Rapa Nui (Großer Stein). Gebraucht wird auch der Name Te pito o te henua (Nabel der Welt; Das Auge, das zum Himmel blickt). In der offiziellen Amtssprache lautet ihr Name Isla De Pascua. In älteren Lexika findet sich auch die Bezeichnung Waihu.

Als die ersten Europäer 1722 an ihrer Küste landeten sahen sie dort große Steinstatuen die ins Landesinnere blickten. Die Bewohner der Insel nahmen gegenüber den Seeleuten sehr unterschiedliche Haltungen ein. Die einen winkten die Neuankömmlinge freundlich heran, andere verhielten sich misstrauisch und sammelten Steine um sich verteidigen zu können. Als Kapitän Roggeveen und seine Mannschaft an Land gingen, begegneten sie drei verschiedenen Rassen, die in Eintracht miteinander lebten. Einige Menschen waren dunkelhäutig, einige rothäutig und andere hatten eine auffällig weiße Hautfarbe. Abgesehen von der Neigung, dass sie alles mit nach Hause nahmen was ihnen gefiel (und ihnen gefiel alles was sie nicht kannten), waren sie sehr freundlich. Dieses von den Seefahrern als Diebstahl gewertete Verhalten führte jedoch letzten Endes zu einem Konflikt zwischen den Einheimischen und der holländischen Admiralität, infolgedessen Soldaten einige Bewohner erschossen und die Holländer einige Tage später die Insel verließen.
1770 machte eine spanische Expedition aus Peru ähnliche Beobachtungen, die Bewohner der Osterinsel waren noch immer freundlich, das Land kultiviert. Nicht so 4 Jahre später, als Kapitän J. Cook die Insel anlief. Das Land war auf einmal vernachlässigt und verödet, die Menschen unfreundlich und bewaffnet, die Statuen umgestoßen und niemand schien sie mehr anzubeten.

Im 19. Jahrhundert war die Insel Ziel für Sklavenjäger, was die Bevölkerung stark dezimierte. Nachdem die Kultur bereits beinahe vollkommen zerstört war kamen die Europäer um sie näher zu untersuchen. Beim Versuch die Einwohner zu christianisieren, entdeckten Missionare in den Wohnungen kleine Statuen eines Gottes den sie Make-Make nannten. Später fand man auch hölzerne Tafeln in die Schriftzeichen geschnitzt waren. Diese Rongo-Rongo-Tafeln wurden von links nach rechts beschriftet und dann umgekehrt von rechts nach links.
Die Bedeutung der Zeichen konnte, ähnlich wie die Vinca-Schrift der Donau-Kultur oder auch die kretische Linear A-Schrift, lange nicht entziffert werden. EIn Durchbruch gelang in den 1950er Jahren durch T.S. Barthel, der erkannte, dass es sich um eine Wortzeichen-Schrift handelt, die weder Silben noch Buchstaben kennt. Nur ein begrenzter Bestand an polynesischen Wurzelwörtern ist mit den Graphemen verknüpft und . die in der gesprochenen Sprache so wichtigen Partikel wie Pronomina, Subjektanzeiger, Attributanzeiger und Verbalaffixe fehlen fast vollständig. Die Rongorongo-Texte sind weitgehend "entgrammatisiert", lediglich ein Restbestand von Syntax ist durch bestimmte Reihenfolgen von Rongorongo-Zeichen enthalten. Es handelt sich bei den Texten um eine stark kondensierte Form der Mitteilung, eine Gruppierung von Stichworten im Telegrammstil. Den alten Schriftkundigen, welche die Tafeln sorgfältig verpackt aufbewahrten und nur zu besonderen Anlässen auspackten um die Rongorongo-Texte anläßlich religiöser Zeremonien zu rezitierten, blieb bei dieser Schreibweise ein großer kreativer Spielraum, den Inhalt in die situationsgebundenen Formulierungen der gesprochenen Sprache umzusetzen. Die letzten Rezitationsmeister starben Ende des 19. Jhs. und mit ihnen das Verständnis der Osterinselschrift. Einzig das Wissen, dass es sich um Texte mit mythisch-religiösem Inhalt handelt blieb bei den Einheimischen erhalten.

Erste Siedler, welche im 4. Jh. n. Chr. auf der Insel lebten, müssen über eine relativ hochentwickelte Technik verfügt haben. Mit dieser haben sie aus riesigen Felsbrocken rechteckige, dreieckige und polygonale Gestalten geschnitten, die Moai. Ihr König war der legendäre Hotu-Matua. Er soll die "rongo-rongo" an Bord seines Schiffes gehabt haben. Dies war eine 2 Meter lange Tafel, auf welcher auf beiden Seiten eine Schrift und merkwürdige Zeichen eingeritzt gewesen sein soll. Diese Tafel hätte das Geheimnis der Steinkolosse und der Inselbewohner möglicherweise aufhellen können. Doch ein fanatischer christlicher Priester im Missionarsauftrag lies sie im Jahr 1868 verbrennen. Er hielt die Tafel für "Teufelswerk". Danach gingen die Kenntnisse dieser Schrift schnell immer mehr verloren.

Es wird berichtet, daß die Moai die Rongo-Rongo-Tafeln um den Hals hängen hatten und daß Priester bei Zeremonien die Tafeln lasen, wobei sie diese ständig drehten und die Leserichtung veränderten. Der letzte in das Geheimnis der Entzifferung Eingeweihte soll 1914 gestorben sein. Seither haben sich Kryptologen, Ethnologen, Informatiker und Linguistikprofessoren an der Entschlüsselung versucht, jedoch ohne den erhofften Erfolg, ein übersetzbares Schriftsystem zu entdecken. Allerdings wurden überraschenderweise gewisse Ähnlichkeiten zu Schriftzeichen aus Altchina und der Induskultur (Harappa-Kultur mit der Hauptstadt Mohenjo Daro) gefunden, die zu Theorien führten, wonach die Osterinselschrift durch Kontakte mit den alten Schriftkulturen Ostasiens entstanden sei. Die moderne Wissenschaft ist sich heute allerdings einig, dass es keinerlei archäologisch feststellbare Spuren irgendeines Kontaktes zwischen der östlichen Peripherie der polynesischen Inselwelt und altostasiatischen Kulturen gibt und die Osterinselschrift eine bodenständige Originalschrift darstellt.

Einen Hinweis auf das Alter der Schrift-Tafeln gibt das Holz, auf dem die Zeichen eingeritzt sind. Dabei handelt es sich um als Treibholz auf die Insel gelangtes Material, was nicht älter als 400 Jahre ist. Damit ist natürlich nicht bewiesen, daß es nicht Tafeln gab, die älter waren und zerstört wurden.

Neben der klassischen Rongorongo (kohau rongorongo, Stäbe der Rezitation) wurden einst auf der Osterinsel noch zwei weitere Schriftarten benutzt, die sich alle stark voneinander unterscheiden, kohau ta'u (Stäbe des Jahres) und kohau mama (Stäbe der Tabuaufhebung); über die ist allerdings bis heute nur wenig bekannt und sie konnten auch noch nicht entziffert werden.
Heutztage schreiben die meisten Osterinsulaner spanisch und benutzen das lateinische Alphabet, wobei auch einige ihre eigene Sprache, Rapanui, mit dem lateinischen Alphabet schreiben.
Das Zeicheninventar der Rongorongo-Schrift besteht aus etwa 120 Symbolen, von denen 40 bildhafte Motive (Götter, Vögel, Fische, Pflanzen) zeigen und 80 überwiegend geometrisch-abstrakte Formen. Die Analyse der Texte hat ergeben, dass rund 2000 Kompositionen aus den Bestandteilen des Basisinventars gebildet worden sind.
Manche Symbole stehen für ganze Wörter, manche repräsentieren Klänge und andere abstrakte Begriffe. Einzelne Zeichen können, ebenso wie Zeichenkombinationen, vieldeutig sein und in unterschiedlichen Kontexten Verschiedenes bedeuten. Die einzelnen Zeichen wurden in einem endlosen Band aneinandergereiht und in jeder zweiten Zeile stehen die Zeichen auf dem Kopf. Beim Lesen der Texte muss also die Tafel nach jeder Zeile um 180° gedreht werden, um die richtige Zeichenfolge zu bewahren.

Zeichen Aussprache Bedeutung   Zeichen Aussprache Bedeutung
tangata Mensch   moe schlafen, tot
toki Axt   tea weiß
vai Wasser   pua Blume, Weib
ruhite paku trommeln   rei kura Schmuck, ältester Sohn
kohau rongorongo sprechende Hölzer   pure Muschel, Gebet
koti schneiden, zerschnitten   tapa Stoff aus Baumrinde, zählen



Inschrift der größten noch erhaltenen Rongorongo Holztafel
(Museum von Braine-le-Comte, Belgien, 90 x 10 cm, 1547 Zeichen in 8 Zeilen auf beiden Seiten)