Phiale Aus dem Schatzfund von Rogozen, 4. Jh. v. Chr.
(Foto: K.G.Müller)
Homer erzählt uns, dass Helden einiger der über 90 Stämme der Thraker im Trojanischen Krieg für die belagerte Stadt kämpften. Sie seien so tapfer gewesen, dass der Kriegsgott Ares selbst in ihrem Land wohnte. Da war das geheimnisvolle, verschollene Reitervolk aus dem heutigen Bulgarien, eines der größten und ältesten indoeuropäischen Völker, aber schon über 5.000 Jahre alt und hatte sich weit über Südosteuropa und Kleinasien ausgebreitet. Es verschwand im zweiten Jahrhundert unser Zeitrechnung. Rituelle Gaben an die Götter, Schmuck und Gebrauchsgegenstände aus Grab- und Schatzfunden belegen lebhafte Handels- und Kulturbeziehungen zu Griechen, Persern, Skythen und anderen Steppenvölkern, Kelten, Römern, sogar Ägyptern. Diese Beziehungen formten die thrakische Kunst und das Kunsthandwerk. Etwa tausend exquisite Beispiele waren 2004 in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle zu bewundern.
Die Thraker schufen um die Gestalt des berühmten Sängers Orpheus, des Sohnes der jungfräulichen großen Muttergöttin, der seiner geliebten Eurydike in die Unterwelt folgt, eine Religion der Wiedergeburt. Ein berühmter weltlicher Thraker war Spartakus, römischer Sklave und Gladiator, der den größten Sklavenaufstand der alten Welt anzettelte und damit die Weltmacht Rom in ihren Grundfesten erzittern ließ. Eine frühe Verheißung der Freiheit aller Menschen, auch der geknechteten!
Die Ausstellung zeigt unter vielem anderen die spektakulären Goldschätze aus Varna (modernen Sonnenanbetern als "Goldstrand" bekannt) und anderen Orten. Sie beeindrucken nicht nur wegen ihres Metallwertes, sondern vor allem wegen ihrer Phantasie und handwerklichen Meisterschaft. Oft sind sie von grandioser Einmaligkeit, originell, dekorativ, ausdrucksstark - wie das berühmte geflügelte Pferd Pegasus, in Hohlguss hergestellt und zusätzlich getrieben (15 cm hoch).
Die Stücke aus der Eisenzeit geben eine stilistische Entwicklung von primitiv zu geometrisch, schematisch, realistisch und naturalistisch wieder. Beliebt sind immer Motive von Tieren, deren Darstellung gelegentlich ineinander übergeht, wie in einer kleinen Hirschstatuette des geometrischen Stils. Das Tier steht aufgerichtet mit hoch erhobenem Kopf auf langem Hals. Die riesigen Hörner haben je vier
bogenförmige, nach oben, dann nach hinten geschwungene spitze Verzweigungen, die deutlich wie Vogelköpfe wirken. Dazu gesellen sich interessante frühe Keramiken: Idole, Frauengestalten, Menschen- und Tier-förmige oder glatte Gefäße, Tierfiguren, Stempel, Gussformen, Öllampen, Spinnwirtel, komplizierte Amulette, ein winziger aber ausdruckstarker "Denker". Interessant sind Modelle von Getreidekörnern von 6 cm Länge - die Thraker wurden in früher Zeit Ackerbauer, vielleicht die ersten der Welt. Wir wissen nicht, ob diese Körner kultischen oder wirtschaftlichen Zwecken oder schlicht als Schleudersteine dienten.
Die Gründung griechischer Kolonien an den thrakischen Küsten der Ägäis, des Marmarameeres und des Schwarzen Meeres im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. führte zu einer kulturellen Annäherung. Von ihr zeugen rot- und schwarzfigurige Gefäße im schönsten griechischen Stil aus der Nekropole von Appolonia Pontica. Besonders ein ausdrucksvolles Kopfgefäß prägt sich der Erinnerung ein. Der Krug mit kleeblattförmigem Ausguss zeigt ein Frauenantlitz mit mandelförmigen Augen, hochgeschwungenen Brauen, einer feinen Nase und vollen Lippen.
Unter den geschmiedeten, gegossenen, üppig getriebenen edlen Stücken aus Silber und Bronze sind viele von atemberaubender Schönheit und höchster technischer Perfektion.
Rhyta (Trinkhornartige Spendengefäße, oft mit einer zweiten Öffnung am Fuß, die mit Finger oder Hand geschlossen gehalten werden musste) mit Sphinx-, Pferd- und Stierköpfen, Kannen, Phialen, also schalenartige Gefäße für die Trankspende, mit Menschen- und Tierdarstellungen bleiben unvergesslich. Die Palette reicht über Weihreliefs, Masken, Statuetten bis zu Waffen, Verzierungen von Wagengeschirren, Zaumzeugen, Werkzeugen und Münzen.
Pferdegeschirrteil,
Silber, vergoldet,
Ende 1./Anf. 2. Jh. v.Chr. (Foto: K.G.Müller)
Eins der erlesensten Stücke der Ausstellung ist eine Phiale von knapp 14 cm Durchmesser, Silber vergoldet. Die Innenseite zeigt zwei Figuren: Herakles (besser bekannt unter seinem römischen Namen Herkules, der die zwölf unlösbar erscheinenden Aufgaben löste) und Auge, Priesterin des Athena-Tempels. Jeder Muskel am mächtigen Körper des Helden ist durchmodelliert. Auge, deren Blößen kaum verhüllt sind, hält seine Hand und strahlt ihn bewundernd von unten an. (Foto des Verfassers siehe oben.)
Ein besonderer Höhepunkt sind die erst vor wenigen Jahren entdeckten Wandgemälde aus Grabkammern des 5. bis 2. Jahrhunderts v. Chr. Die Fresken gehören zu den prächtigsten der antiken Welt. Während viele der anderen Ausstellungsstücke einen hohen Ornamentreichtum zeigen - man könnte häufig fast von einer Angst vor der leeren Fläche sprechen - strahlen besonders die virtuos gemalten Jagdszenen von Aleksandrovo durch ihre Beschränkung auf das Wesentliche eine urtümliche Kraft und Schönheit aus. In einem Rundfries greifen vier Reiter und vier Männer zu Fuß mit Schwertern und Lanzen zwei Eber und zwei Hirsche an. Die Pferde haben reich geschmücktes Geschirr und farbige Sättel. Von neun Hunde tragen einige rote Halsbänder, sind also göttliche oder königliche Tiere. Aus den Wunden des gejagten Wildes schießen Blutstrahlen. Realistische und expressive Darstellungen aus einer versunkenen Welt!
Klaus G. Müller, 2004
Detail des Jagdfrieses aus der Hauptkammer von Aleksandrovo, Mitte des 4. Jh. v. Chr.,
Foto: Peter Oszvald
Hornförmige Trinkgefäße in Gestalt von Amazonenköpfen, Panagjurischte, 4. - 3. Jahrhundert v.Chr.
Foto: Peter Oszvald, bearbeitet von N.Bartz.
Helm, Bronze mit Silber- und Kupferapplikationen, Pletena bei Blagoevgrad, 1. H. 4. Jh. v. Chr. Nationales Historisches Museum Sofia
Foto: Ivo Hadjimichev, bearbeitet von N.Bartz.
Zierbeschlag aus einem Grab des Mogilanska-Hügels, Silber, Mitte 4. Jh. v. Chr. Regionalhistorisches Museum Vraca
Foto: Ivo Hadjimichev, bearbeitet von N.Bartz.
Frühe protothrakische Bauernkultur im thrakischen Kerngebiet.
Ende 6. Jt. v. Chr.
Früheste Keramik auf dem Perperikon im Rhodopen-Gebirge.
5000-4000 v. Chr.
Erste Dörfer sowie Gold-, Silber- und Kupferminen. Ab 4600 v. Chr. Bestattungen mit reichen Beigaben; vorthrakisches Gräberfeld an der Schwarzmeerküste bei Varna.
4000-3000 v. Chr.
Kupfer wird in Zentren verhüttet und kunstvoll verarbeitet.
3000-2000 v. Chr.
Indogermanische Völker wandern auf dem Balkan ein und bilden in ihrer Gesamtheit die Stämme der Thraker.
2000-1000 v. Chr
Rohstoffe machen die thrakischen Stämme reich und Dynastien entstehen.
Im Trojanischen Krieg um 1200 v. Chr. kämpfen die Thraker auf der Seite Trojas.
1000-700 v. Chr.
Griechen gründen Kolonien am Schwarzen Meer. Einige dieser Kolonien entrichten an die Thraker Tribute. Im Nordosten rückt das Reitervolk der Skythen heran.
700-500 v. Chr.
513 v. Chr. zieht der Perserkönig Dareios I. gegen die Skythen ins Feld und besetzt dabei 512 v. Chr. Thrakien.
500-400 v. Chr.
Als die Perser ab 480 v. Chr. Krieg gegen Griechenland führen, werden sie von thrakischen Verbänden, insbesondere den Odrysen unterstützt.
Ab ca. 428 v. Chr. eint der odrysische Herrscher Teres I. die Thraker.
Im Peleponnesischen Krieg (431-403 v. Chr.) kämpfen thrakische Söldner mal für Athen, mal für Sparta.
400-300 v. Chr.
351 v. Chr. wird der Westteil Thrakiens von Philipp II., König von Makedonien, erobert. 341 v. Chr. folgt auch der Osten als makedonische Provinz. Philipp II. wird der immer wieder aufflackernden thrakischen Aufstände jedoch kaum Herr.
Erst sein Sohn Alexander der Große besiegt 335 v. Chr. die thrakischen Stämme bis in den Donauraum.
Nach Alexanders Tod 323 v. Chr. erklärt sich sein General Lysimachos 306 v. Chr. zum »König von Thrakien«.
300-100 v. Chr.
Lysimachos stirbt 281 v. Chr. in der Schlacht von Kurupedion und um diese Zeit fallen die Kelten auf ihrem Rückzug von Delphi in das thrakische Gebiet ein und gründen ein Reich in Tylis (im heutigen Ostbulgarien), das 278-212 v. Chr. bestand.
Die Römer unterwerfen Thrakien 168 v. Chr., doch die Unruhen in Thrakien reißen nicht ab.
100 v. - 100 n. Chr.
Aufständische Thraker werden von Mithridates IV., dem Herrscher des Pontischen Reiches an der Südküste des Schwarzen Meeres, unterstützt. Dieser wird erst 69 v. Chr. von den Römern geschlagen.
Ab 55 v. Chr. begehrt der thrakische Stamm der Daker auf und als Thrakien 19 v. Chr. römischer Vasallenstaat wird, auch der thrakische Stamm der Bessen.
Ab 46 n. Chr. wird Thrakien zur Provinz Thracia, was die Stimmung weiter verschlechtert.
100-300 n. Chr.
106 n. Chr. unterwirft Kaiser Trajan die Daker und installiert die Provinz Dacia.
Ab 244 n. Chr. überschreiten die Goten Roms Nordost-Grenzen.
271 n. Chr. geben die Römer die Provinz Dacia auf,
284 n. Chr. auch die Provinz Tracia.
300-600 n. Chr.
In der Völkerwanderungszeit wird das Land von Germanen, Westgoten, Hunnen und Slawen überrannt.
Um 600 siedeln sich die Protobulgaren an (auch Ur-Bulgaren oder Hunno-Bulgaren genannt: vor allem turksprachige Stammesverbände der eurasischen Steppenzone).