Die Indus-Schrift   2600 - 1800 v. Chr.

Industal-Zeitleiste:
7. Jt. v. Chr. - Merhgarh, älteste bisher entdeckte Siedlung
um 3300 v. Chr. - Frühe Formen der Indus-Schrift
um 2600 v. Chr. - Vollausgebildetes Schriftsystem, Beginn der Hochkultur, Stadtplanung, Kanalisation
1800-1600 v. Chr. - Untergang der Indus-Kultur
1500-600 v. Chr. - Vedische Zeit
500 v. Chr. bis 5. Jh. n. Chr. - Buddhistische Gandhara-Kultur*
711 n. Chr. - Erster islamischer Einfluss
1526 bis 1761 - Mogulreich, Blütezeit des Islam
1859 bis 1947 - Britische Herrschaft
1947 - Teilung der Region in die Staaten Indien und Pakistan

Trotz vielfältiger Versuche ist die proto-indische Indus-Schrift, die mit keiner bekannten Schrift verwandt ist, bis heute nicht sicher entschlüsselt. Typische Inschriften sind nicht länger als vier/fünf Zeichen, die längste bekannte Inschrift umfasst 26 Zeichen.

Einige Wissenschaftler bezweifeln, dass die Indus-Schrift überhaupt ein Schreib-System war, oder ob es sich nicht vielmehr nur um ein Hilfsmittel des damaligen Handels handelte.

Auch ist die Sprache der nordindischen Indus-Kultur nicht bekannt; die heute favorisierte Theorie ist, dass sie ein Vorläufer der heute im südlichen Indien gesprochenen dravidischen Sprachen war. Daraus kann jedoch nicht automatisch gefolgert werden, dass die Erschaffer der Indus-Kultur den heutigen Sprechern dravidischer Sprachen ähnlich waren, da Sprachen, Ideensysteme und Gesellschaften sich sehr schnell verändern können.

Die Indus-Schrift der nordindischen Harappa-Kultur zählt, neben der Vinča-Schrift der Donau-Kultur, den ägyptischen Hieroglyphen und dem Hieratischen, der sumerischen Linearschrift und der proto-elamischen Strichschrift zu den ältesten bekannten Schriften.

Sie wurde im metallzeitlichen Indien in der Region von Harappa und Mohenjo-Daro verwendet. In ihrer ausgereiften Form läßt sie sich von 2600 bis 1900 v. Chr. zurückverfolgen, die frühen Formen sogar bis 3300 v. Chr. Nach 1900 v. Chr. nahm die Verwendung der Schrift immer weiter ab und ging im Laufe des frühen ersten Jahrtausend v. Chr. völlig unter.

Eine allgemein akzeptierte Entzifferung gelang noch nicht. Es ist auch nicht sicher, ob die Zeichen tatsächlich eine Schrift darstellen oder ob es sich um nicht-sprachliche Symbole handelt. Falls die Schrift rein ideographisch ist, enthält sie keinerlei Information über die Sprache derjenigen, die sie benutzten. Wenn die Schrift sprachliche Informationen enthält, so ist uns doch nichts über die zugrundeliegende Sprache bekannt.

Im Jahre 1875 wurde das erste mal die Zeichnung eines Siegels aus Harappa veröffentlicht, angefertigt von Alexander Cunningham. Cunningham behauptete 1877, das Siegel enthielte eine Inschrift in einer Urform der Brahmi-Schrift, wie sie von Ashoka benutzt wurde. Die meisten Forscher betrachten Cunninghams Einschätzung als irrig, einige sogar als betrügerisch. Eine Minderheit jedoch – meistens indische Gelehrte – halten daran fest, dass die Schrift ein Vorläufer der Brahmi-Familie sei.

Es sind etwa 3.500 Fundstücke mit Beschriftungen erhalten. Sie befinden sich auf in Stein geschnittenen Stempelsiegeln, auf Terrakotta- und Porzellan-Amuletten, auf Tonscherben und auf einigen Objekten anderer Art. Die Amulette und Siegel enthalten neben den piktographischen Zeichen häufig ikonographische Motive, größtenteils realistische Abbildungen von Tieren, die anscheinend als heilig verehrt wurden und einige kultische Szenen mit menschenähnlichen Gottheiten und Anbetern. Dieses Material ist von zentraler Bedeutung für die Erforschung von Sprache und Religion der Indus-Kultur.

Drei Hauptschwierigkeiten stehen der Entzifferung der Indus-Schrift entgegen:

  • 1) Die entdeckten Inschriften sind in der Regel nur sehr kurz und umfassen im Schnitt nicht mehr als fünf Zeichen, maximal 26 Zeichen.

  • 2) Die zugrundeliegende Sprache ist nicht bekannt.

  • 3) Das Fehlen eines mehrsprachigen Textes (wie z.B. der Stein von Rosetta ). In Ermangelung längerer und mehrsprachiger Texte können die Gelehrten nur theoretisch die Sprache des Schriftsystems annehmen.

Es gibt verschiedene konkurrierende Theorien, was die Inschriften darstellen:

  • 1) Die Zeichen sind rein ornamental oder ideographisch.

  • 2) Die Sprache ist mit keiner anderen Sprache verwandt.

  • 3) Es handelt sich um eine arische Sprache (eine Form des Indoiranischen ). Die historischen Sprachen, gesprochen in Nord-Indien und Pakistan, gehören meistens zum indischen Zweig der indogermanischen Sprachen . Dazu gehören Sanskrit , Hindi , Punjabi , usw. So sprach das Volk des Industales möglicherweise eine indogermanische Sprache. Das Hauptproblem bei diesem Modell ist das 'Pferdedilemma'. Pferde spielten eine sehr wichtige Rolle in allen indogermanischen Kulturen. Jedoch wurden keine Darstellungen von Pferden auf Siegeln gefunden, die vor 2000 v.Chr. datiert werden, ebensowenig wie Reste von Pferden selbst (z.B. Knochen). Sie treten erst nach 2000 v.Chr. auf. Deshalb war vor 2000 v.Chr. sehr wahrscheinlich kein arisch sprechendes Volk im Industal.

  • 4) Die Sprache gehört zur Munda-Sprachfamilie. Die Munda-Sprachfamilie ist in Ost-Indien weit verbreitet und verwandt mit einigen südostasiatischen Sprachen. Wie die arische Sprache spiegelt auch der rekonstruierte Wortschatz des frühen Munda die Harappa-Kultur nicht wider. Das macht Munda als Sprache der Indus-Kultur unwahrscheinlich.

  • 5) Es handelt sich um eine dravidische Sprache. Die Sprachen der dravidischen Familie werden in Südindien gesprochen, Brahui spricht man im modernen Pakistan. Dieses Model ist das vielversprechendste aus folgenden Gründen:

    • a) Es sind viele dravidische Einflüsse in den vedischen Texten erkennbar. Die arische Sprache löste allmählich die dravidische Sprache ab. Einige Merkmale des Dravidischen gingen in das Arische ein. Eines dieser Merkmale ist das Vorkommen von retroflexen Konsonanten in indischen Sprachen, sowohl in den indogermanischen als auch in den dravidischen. Im Gegensatz dazu treten retroflexe Konsonanten in anderen indogermanischen Sprachen nicht auf, nicht einmal in iranischen, welche den indischen am nächsten stehen.

    • b) Ein anderer möglicher Hinweis auf das Dravidische in den Indus-Texten ergibt sich aus der strukturellen Analyse der Texte, die nahelegt, dass die dahinter liegende Sprache möglicherweise agglutinierend ist und zwar deshalb, weil Zeichengruppen oft die selben Anfangszeichen, aber unterschiedliche Schlusszeichen haben. Die Anzahl der Schlusszeichen reicht von eins bis drei. Die Schlusszeichen stellen vielleicht grammatische Suffixe dar, die das Wort, dargestellt durch die Anfangszeichen, modifizieren. Jedes Suffix würde dann eine spezifische Modifikation darstellen. Eine Gruppe von Suffixen würde das Wort mehrfach modifizieren. Ein solches Suffix-System findet sich im Dravidischen, jedoch nicht im Indogermanischen. Indogermanische Sprachen neigen dazu, den Schlusslaut zu ändern, um die Bedeutung des Wortes zu modifizieren (Flexion, Beugung). Mehrfache zusätzliche Laute am Ende eines Wortes sind jedoch sehr selten. Häufig entsprechen Suffixe einer agglutinierenden Sprache einzelnen Beugungsendung einer flektierenden Sprache.

Die Ermittlung der Anzahl verschiedener Zeichen verrät eine Menge über den Typ des verwendeten Zeichensystems. Alphabetische Systeme umfassen selten mehr als 40 Zeichen. Silbenschriften, wie z.B. Linear-B oder die Cherokee-Schrift, umfassen üblicherweise 40 bis 100 Symbole. Der dritte Bereich von logophonetischen bis zu logographischen Systemen umfasst Hunderte Zeichen und mehr (z.B. 500 Zeichen im [Hieroglyphic Luwian ?], 5000 Symbole im modernen Chinesisch).

Es scheint so, dass die Indus-Schrift maximal 400 Symbole beinhaltet, wobei es 200 Grundzeichen gibt, die nicht aus anderen kombiniert wurden. Das bedeutet, die Indus-Schrift ist vermutlich logophonetisch. Sie benutzt demnach Zeichen mit der Bedeutung von Worten und phonetische Zeichen.

Asko Parpola, ein Spezialist auf dem Gebiet der vedischen Philologie, wandte in einer frühen Phase seiner Karriere seine Aufmerksamkeit der Entzifferung der Indus-Schrift zu und lieferte in den letzten drei Jahrzehnten zusammen mit seinen finnischen Kollegen wertvolle Beiträge. Er steht der dravidischen Auffassung der Entzifferung nahe, seine Beiträge zur Dokumentation und seine theoretischen Studien über die Indus-Schrift überschreiten jedoch die Grenzen der Linguistik.

                   
                   
                     
                     

                   
                   
                     
                     

                 
                 
                   
                   

                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   
                   


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